Lutz Schafstädt

'Der Maulwurf aus Moskau' von D.W. Crusius



Kindle (unlimited) | Taschenbuch
Martin arbeitet in der streng geheimen Entwicklungsabteilung der Air-Sliver in Wien, die in das lukrative Drohnen und Lenkwaffengeschäft einsteigen will. Sein richtiger Name ist Vladimir, er ist Russe und er arbeitet für den russischen Geheimdienst.

Doch wer sind tatsächlich seine Auftraggeber? Immer tiefer gerät Martin alias Vladimir in einen gefährlichen Sog aus Spionage und Gegenspionage, und bald weiß er selbst nicht mehr, für wen er arbeitet.

Lesermeinung: Ein hochkomplexer Agentenroman, der regelrecht nach Verfllmung schreit. In Zeichen von Wikileaks und NSA eine hochpolitische, absolut zeitgemäße Geschichte, die vermutlich nur noch von der Wirklichkeit überholt werden kann.

Leseprobe:
Der Gefangene P37 sitzt zusammengekauert auf einem Holzschemel. Er ist unbekleidet. Es ist nicht wichtig. Nichts ist wichtig, nicht einmal der Tod.
Ein kleiner Raum, etwa zwei Mal zwei Meter. Kahle, schmutzig-graue Betonwände, sehr hoch, vier Meter. Es stinkt nach Abwasser und Fäkalien. Durch ein vergittertes Loch weit oben dringt diffuses Licht. Der hölzerne Schemel ist mit breiten, eisernen Winkeln am Boden befestigt.
Totenstille.
Wie lange sitzt er dort? Minuten, Stunden, Tage? Es gibt keine Zeit mehr. Er zittert am ganzen Körper, seine Finger sind von Kälte blau verfärbt. Er klemmt die Hände unter die Achseln, um sie zu wärmen. Er muss pinkeln. Der Urin läuft warm an seinen Beinen hinunter, tropft auf den Zementboden.
Nicht grübeln, den Kopf abschalten wie ein zu lautes Radio. An etwas Schönes denken, an Moskau, den winterlichen Gorki-Park, fröhliche Menschen. Zwischen den Büschen und Bäumen türmen sich hoch aufgeschüttete Berge aus Schnee. Auf den zugefrorenen Teichen drehen mit dicken Pelzmützen und Handschuhen vermummte Schlittschuhläufer kunstvolle Pirouetten.
Seine Gedanken verselbstständigen sich und er ist im sommerlichen Alexandergarten, nicht weit vom Kreml. Auf den Bänken sitzen alte Leute, reden, scherzen miteinander.
Neben ihm geht eine Frau. Er erkennt sie am Parfüm, Tatjana. Die Moskowiterinnen benutzen es großzügig, schweben auf Duftwolken. Er sieht die schmusenden Paare auf dem Rasen und legt einen Arm um Tatjana. Glücksgefühl erfasst ihn, er lächelt, will sie an sich ziehen, ihr ins Haar greifen.
Eine Stimme reißt ihn zurück in die Wirklichkeit; eine tote Stimme, geschlechtslos.
»P37, wie oft haben Sie Ihre Kontaktperson getroffen?«
»Einmal in der Woche ... das habe ich doch schon so oft gesagt«, flüstert er.
Keine Antwort. Diese wie alle Fragen hat er unzählige Male beantwortet. Wie oft sie ihn verhört haben, weiß er nicht, auch nicht, wie lange er jetzt im Untersuchungsgefängnis sitzt. Hätte man ihm gesagt, es wäre ein Monat - er hätte es geglaubt. Auch ein Jahr. Erst verliert man seine Würde, dann die Zeit.
»War es ein Mann oder eine Frau?«
Immer wieder dieselben Fragen.
»Meistens eine Frau.«
»Deutsche, Amerikaner? Sprachen die Personen mit Akzent?«
»Deutsche ... glaube ich.«
»Aus Dresden?«
»Ich weiß nicht. Sächsischer Akzent.«
Es kommen keine weiteren Fragen und er versucht, zu seinen Tagträumen im sommerlichen Park zurückzukehren, zu Tatjana. Es gelingt ihm nicht. Er faltet seine Hände und legt die Zeigefinger aneinander, will an Moskau denken. Die Zeigefinger sind für Moskau, die Mittelfinger für Sankt Petersburg, Ringfinger für die Reise mit Tatjana auf die Krim ans Schwarze Meer. Damals, während seines ersten Lebens, vor dem Gefängnis. Seine Finger sind so etwas wie Erinnerungsstützen, Krücken, mit denen er sich von einem Universum in ein anderes versetzt.
Die Daumen sind für seine Mutter. Wenn er sie fest aneinanderdrückt, denkt er an sie. Wenn er dabei die Augen schließt, erinnert er sich so deutlich an sie, als stände sie neben ihm. Er glaubt, ihre Hand zu spüren, wie sie ihm über den Kopf streicht, und er ist ein kleiner Junge. Er sieht sie vor sich mit ihren dicken Filzstiefeln, die sie im Winter auch in der Wohnung trägt. Die Heizung funktioniert nicht gut, der Fußboden ist sehr kalt.
Er sieht ihren bunten, knöchellangen Rock, das Kopftuch in die Stirn gezogen mit einem dicken Knoten unter dem Kinn, eine wattierte Jacke um die Schultern. Sie klopft an die Tür der Nachbarin. In den Wald wollen sie fahren, Pilze sammeln. Lange Strecken müssen sie in Trambahn und Bus sitzen, zigmal umsteigen. Oder sie fahren auf einen weit entfernten Schwarzmarkt außerhalb Moskaus, von dem man sich erzählt, es hätte gestern dort Hühner, Tomaten, Kartoffeln oder sonst etwas Gutes gegeben.
Seiner Mutter und der Nachbarin hat er eine schmale Ecke im Gemeinschaftskeller abgezweigt, wo sie Holzfässer mit Sauerkraut aufbewahren, die hölzernen Deckel mit einem Stein beschwert. Im Keller stehen viele solcher Fässer und die blubbernden Gase des Gärprozesses dringen über die Kellertreppe in den Flur, ziehen bis unter das Dach. Drückt er die Daumen gegeneinander, riecht er Sauerkraut.

Im Kindle-Shop: Der Maulwurf aus Moskau
Mehr über und von D.W. Crusius auf seiner Website.


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